TEIL II
FOR ABSENT FRIENDS

 

LEON

Wie lange ich schon Leon kenne, weiß ich nicht mehr genau. Gefühlt ewig. Eigentlich ist er auch kein Freund von mir, aber guter Bekannter genug, daß ich über ihn stets auf dem Laufenden gewesen war. Leon ist das Unkraut des Bonner Gastronomiewesens, vergeht also nicht. Gott sei Dank! Soweit ich weiß, hat er nie eine eigene Lokalität besessen, sondern bei unzähligen Clubs, Restaurant und Kneipen irgendwie immer mitgemischt. “Bekannt wie ein bunter Hund” und “Nichts ausgelassen” wären Untertreibungen für seine Präsenz. In seinen Jugendjahren sah er aus wie Brad Pitt, und recht hollywoodmäßig war auch sein Lebensstil. Seine Suff- und Koks-Gelage und Spontanorgien zu jener Zeit sollen legendär gewesen sein. Leider war ich nicht dabei. Vor ein paar Jahren hatte er einen sehr harten Schicksalsschlag zu verkraften. Doch möchte ich darüber nicht reden, weil dies hier nicht Klatsch und Tratsch dienen soll, was voyeuristisch mit dem Leid eines Menschen gewürzt ist.

Vor ein paar Wochen besuchen meine Partnerin und ich einen neuen Steak-Laden, der, wie wir hörten, keine Wünsche offenlassen soll. Wir sind erst ein paar Minuten drin, da erscheint plötzlich Leon am Tisch mit zwei Gläsern Gratis-Champagner für uns und verkündet, daß er jetzt der Geschäftsführer des Ladens sei. Aha, neuer Job, neues Glück. Wir quatschen fröhlich über dies und das, bis wir beim Thema Kinder landen. Er erzählt, daß seine Tochter 18 geworden sei und ihr Abitur gemacht habe. Er zeigt uns ein Handy-Photo von ihr: Ein bildhübsches Mädchen!

Mir ist es allerdings nicht entgangen, daß er immer unruhiger geworden ist, seitdem wir darauf zu sprechen gekommen sind. Er lächelt immer so komisch, wenn ich von den jugendlichen Dummheiten meines 20-jährigen Sohnes erzähle. Er scheint mir gar nicht zuzuhören und ist mit den Gedanken offenbar ganz woanders.

Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund platzt es förmlich aus ihm heraus. Dabei tut er so, als könne er vor lauter sich Beömmeln gar nicht an sich halten und will uns so zum Losprusten bei der folgenden Pointe animieren. Das Ganze hat jedoch etwas äußerst Gezwungenes. Er hätte seiner Tochter, als sie noch klein war, immer gesagt, so beginnt er den Pseudowitz, daß sie ihm keinen Türken als Freund nach Hause bringen darf, wenn es soweit ist. Vor einem Jahr wäre sie zu ihm gekommen und ihm gesteckt, daß sie seinen Rat beherzigt habe. Ihr Freund wäre nicht Türke, sondern Marokkaner! Er lacht sich scheckig darüber. Aber irgendwie klingt dieses Lachen sehr verzweifelt.

Wir lachen mit, obwohl wir den Witz nicht so ganz verstehen. Warum hat er seiner Tochter immer gesagt, daß sie keinen Türken als Freund mitbringen darf? Weil er im Gastronomiegewerbe so seine Erfahrungen mit den Männern aus Multikultistan gemacht hat? Weil er mittels schwarzem Humor, also durch die spaßige Umkehrung “des Vaters weise Worte” seiner Tochter demonstrieren wollte, wie vorurteilsfrei und die “Vielfalt” oder negativ gewendet die “Durchrassung” bejahend er doch sei? Hat er auch wie ein Wahnsinniger gelacht, als seine Tochter ihm eröffnete, daß ein Marokkaner sie jetzt befingert? Und was erhofft er sich von unserem Solidaritätslachen? Bestätigung, daß das heutzutage die normalste Sache der Welt in unserer ach so offenen Gesellschaft ist, wenn der erste Freund eines deutschen Bilderbuchmädels ein Moslem ist? Nach seiner krampfartigen Lache eher nicht.

Die Sache scheint ihn zu beschäftigen, und offensichtlich führt er Buch über die Freunde seiner Tochter. Sie hätte zwischendurch, und zwar exakt für zwei Wochen einen deutschen Jungen gehabt, fährt er fort und verzieht dabei ein zitronensaures Gesicht. Der hätte aber nur gekifft. Furchtbar das. Ja, so sind die deutschen Jungs, sie kiffen nur und haben schlappe Schwänze. Die kannst du vergessen! Gegenwärtig hätte sie einen Kurden zum Freund. Dabei kehrt das marionettenhaft aufgesetzte Lachen wieder in sein Gesicht zurück, womit er uns erneut nicht unterschwellig, sondern wie durchs Megaphon auffordert, mitzulachen. Den Gefallen tun wir ihm doch gerne.

Aber in Wahrheit ist alles nicht so wie es scheint. Leon ist vielmehr ein verzweifelter Vater, der längst die Kontrolle über seine Tochter verloren hat und deswegen in ständiger Angst lebt. Gegen das Erwachsenwerden kann man schlechterdings nichts unternehmen. Irgendwann werden die Kleinen halt flügge und verlassen das Nest. Und sie tun dort draußen Dinge, wonach ihnen der Sinn steht. Der springende bzw. tragische Punkt in Leons Fall ist jedoch, daß er in Wahrheit sehr wohl realisiert, wie sich diese Dinge seit seinen lustigen Suff-und-Koks-Tagen längst geändert haben. Wie das Fremde, welches einst als exotischer Kumpel und Adoptionsanwärter auf die vor Glück berstende, “durchmischte” deutsche Gesellschaft daherkam, sich nun mehr entzwiebelt und seinen finsteren Kern zu zeigen beginnt. Wie dieses Finstere sukzessive, bisweilen sogar mit kreischenden Schreien der Abgeschlachteten aus dem Hintergrund ins Intimste, in das Wertvollste, was man besitzt, in die Familie eindringt und sämtliche fröhliche Zukunftsvisionen “mit unseren Lieben” zerstört. Okay, man darf nicht pauschalisieren. Eine Mutter und ein Vater dürfen aber pauschalisieren. Es geht nämlich ums Ganze, um das Liebste!

Leon steckt in zweifacher Hinsicht in der Zwickmühle. Und deshalb lacht er – wenn auch gekünstelt. Zum einen darf er seine Ängste gesellschaftlich nicht äußern, sonst ist er nicht mehr gesellschaftsfähig. Wie eine Handpuppe, in derem Innern die ideologiegeleitete Hand eines irren, gemeingefährlichen Verbrechers steckt, muß er mittels einer peinlichen Lach-Show die Gleichheit des Marokkaners und des Kurden, überhaupt des ausländischen Menschenschlags mit seiner Tochter, ja, mit allen Menschen beteuern, das Jungdeutsche zu etwas Nutzlosem, “Überholtem” abwerten und in der öffentlichen Arena ganz scheinheilig fragen: Wo ist das Problem?

Zum anderen darf er seine Befürchtungen auch privat, in seinem eigenen Kopf nicht zulassen. Sonst würde er verrückt werden. Vielleicht derart verrückt, daß er in einem Anfall von Verzweiflung und Wut diese Angst hinausschreien und sich und anderen gestehen würde, daß er sich die alten Zeiten zurückwünscht, in denen die schönen Töchter das Spiel der Liebe mit Ihresgleichen gespielt haben. Vielfalt hin, Vielfalt her, er würde dann seine Tochter packen, sie schütteln und ihr ins Gesicht brüllen “Weißt du eigentlich, in welche Gefahr du dich da begibst?”

Aber dann wäre der bunte Hund Leon keiner mehr, sondern ein Isolierter und Verfemter im Bonner Gastronomiegewerbe, ein Abgestoßener des Schweigesystems, des grün-links versifften Gesellschaftsblocks, entwurzelt und heimatlos – und pleite. Sein irres Lachen ist in Wahrheit ein Hilfeschrei. Durch unser Solidaritätslachen sollen wir ihm bestätigen, daß seine Art der Verleugnung der Wahrheit völlig in Ordnung ist, daß wir ebenfalls unsere Kinder auf dem Altar der behaupteten Gleichheit, ja, Buntheit opfern würden.

Wir lachen also mit Leon mit, obwohl uns das Lachen im Halse steckenbleibt. Und wer weiß, wenn wir ihm das nächste Mal begegnen, haben wir uns vielleicht schon längst totgelacht. Hoffentlich nicht auch noch seine Tochter.

(Alle Namen in dieser Serie sind geändert)

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