Liebe Freundinnen und Freunde, mein letztes Posting über die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen, zitiert aus meinem Buch “Die große Verschwulung” scheint sehr gut angekommen zu sein. Viele haben mir geschrieben und mich gebeten, hier mehr davon zu veröffentlichen. Dem Wunsch komme ich gerne entgegen. Zwar wurde im vorherigen Post erklärt, daß es auf diesem Planeten nur zwei Geschlechter geben kann, aber nicht das Warum. Deshalb kommt jetzt die Auflösung.
Grunox stammt vom Planeten Grun. Dieser Planet ist sehr weit von uns entfernt, Lichtjahre um Lichtjahre, noch hinter der Milchstraße, danach links abbiegen und dann immer geradeaus bis nach Andromeda. Auf Grun ist alles paletti, und deren Bewohner sind uns sowohl technisch als auch geistig ebenfalls um Lichtjahre voraus. Nur eins besitzen sie in ihrem Paradies nicht: gesalzene Erdnüsse, Grunox´ Lieblingssnack! Natürlich könnte man mit der dortigen Wundertechnologie das Zeug auch synthetisch herstellen, aber Grunox ist eher so der Bio-Typ. Deshalb düst er mit seinem Raumschiff ständig durchs All, um Welten zu finden, wo es welche gibt. Er hat schon Hunderte durch, und mal hatte mehr und mal weniger Glück. Gesalzene Erdnüsse nach seinem Geschmack waren nur selten darunter.
Gerade eben entdeckt Grunox unsere olle Erde. Für ihn kein herausragender Planet, denn er war schon oft auf Planeten zu Besuch, auf denen es Leben (Biogenese), auch hoch entwickeltes Leben gab. Die Sensoren seines Raumschiffes signalisieren ihm diesmal jedoch, daß hier die für seinen Geschmack optimalsten gesalzenen Erdnüsse zu finden sind, sogar in verschiedenen Sorten. Volltreffer! Doch Grunox muß aufpassen. Er möchte nicht gesehen, noch weniger dabei erwischt werden, wie er ein paar Tonnen von der Leckerei ins Raumschiff saugt.
Um auf alles vorbereitet zu sein, tastet Grunox die Erde aus weiter Entfernung mit verschiedenen Sensoren intensiver ab. Er will das Funktionieren dieser Kugel in Erfahrung bringen und so für den Fall gerüstet sein, falls er mal in böse Verlegenheit geraten sollte. Die Grundlage allen Lebens hier wie auf den übrigen Planeten, auf denen Leben gedeiht, sind Flüssigkeiten, Gase und eine nicht gerade mörderische Temperatur, stellt er fest, vereinfacht gesagt Wasser und Sauerstoff. Natürlich gibt es auch Mikroben und Bakterien, die bei über 100 Grad Hitze überleben können, doch sie und ihre Nachkommen haben es nie zu einer Bombenkarriere gebracht, sagen wir bis zum Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG. Die Faustregel in Sachen Leben heißt jedenfalls stets Wasser und “Luft zum Atmen”.
Besonders flüssiges Wasser als absolutes Lösungsmittel besitzt die Eigenschaft, Leben geradezu zu provozieren, denn es ist ein universales Naturgesetz, daß in ihm in kürzester Zeit, sagen wir mal innerhalb einer halben Milliarde Jahre, Kleinstlebewesen entstehen, einfache Zellstrukturen, Einzeller, deren DNA frei und außen liegen, oder in etwas komplizierter Form Bakterien. Es hat sich übrigens nur eine Form von Leben durchgesetzt, nämlich das auf Nukleinsäuren (RNA und DNA) beruhende. Reines Wasser existiert im gesamten Kosmos nicht, nicht einmal in aus Bergquellen abgefüllten Flaschen.
Aber auch diese schlichten Lebewesen sind einem anderen universalen Naturgesetz unterworfen, nämlich dem Tod. Alles stirbt irgendwann und keiner kommt lebend davon. Da so ein Einzeller total doof ist, besitzt er natürlich keinen blassen Schimmer vom Tod. Dennoch gehorcht er wie schlafwandlerisch einem Mechanismus, der ihn (quasi) unsterblich macht, nämlich der Reproduktion. Er teilt sich irgendwann, was nicht gerade das Gelbe vom Ei ist, denn dabei entsteht lediglich eine Kopie von ihm selber, die denkbar schlecht auf die sich ständig verändernden Umweltbedingungen vorbereitet ist. Deshalb bauen einige von ihnen eine Art Röhren zueinander, wodurch sie ihre DNA untereinander austauschen und “remixen”. Danach sehen sie allerdings auch nicht gerade wie George Clooney und Scarlett Johansson aus.
Grunox betrachtet die eingehenden Informationen auf seinem Schirm und ist wenig überrascht, weil das Programm des Lebens auf den von ihm vorher besuchten Planeten auch nicht anders aussah. Auf dem Planeten Erde kreuchen und fleuchen niedere Lebensformen ohne Zahl, die höchste ist offenkundig ein Wesen namens Mensch, der lachhafter Weise erst seit etwas mehr als hundert Jahren über elektrische Signale und Funkwellen über weite Entfernungen hinweg mit seinesgleichen kommunizieren kann. Mit Technik und Fortschritt scheint es nicht weit her zu sein da unten. Grunox will seinen Scan abschließen, weil der ihm kaum etwas bietet, was er nicht von seinen anderen Weltraumreisen kennt.
Bis ihm plötzlich seine Sensoren doch noch etwas sehr Ungewöhnliches melden. Von ihrer Gesamtstruktur her gleichen sich die meisten Lebewesen auf der Erde zwar einander, und trotzdem scheint etwas Trennendes zwischen ihnen zu existieren, ja es gibt auf den zweiten Blick offenkundig zwei völlig unterschiedliche Sorten von Lebewesen, bei jeder Art, ja, selbst bei Pflanzen. “Fuck!” entfährt es Grunox, so etwas hat er noch noch nie vorher gesehen. Und “Fuck!” hat er auch noch nie ausgerufen. Was bedeutet das überhaupt?
Grunox erkennt allmählich, daß die meisten der diesen Planeten bevölkernden Lebewesen zwar in ihrer jeweiligen Anatomie alle gleich gestaltet sind, sie sich jedoch in der Masse je hälftig in einem bestimmten Bereich fundamental voneinander unterscheiden, am augenscheinlichsten der Mensch, weil in summa unbehaart. Daß die anatomischen Merkmale eines Lebewesens von Individuum zu Individuum unterschiedlich ausfallen, wenn auch geringfügig, ist nichts Ungewöhnliches. Doch bei den höher stehenden Lebewesen ist diese Differenz schier schockierend. Bei den Menschen ist es sogar so, daß man von völlig andersgearteten Menschen sprechen könnte. Und so verschieden nennen sie sich auch, Mann und Frau.
Nach der ersten Konfusion erholt sich Grunox allmählich von seiner Verwunderung und betrachtet die Sache ganz nüchtern. Auf den ersten Blick beruht die Zweiteilung der Menschheit auf der Weitergabe der eigenen Gene, also des persönlichen Bauplans; ein Phänomen, das stets auftaucht, sobald sich irgendwo im Universum Leben etabliert. Dabei handelt es sich jedoch um keine Billigvariante des sich Bauplan-Weiterreichens zu 1:1, sondern um eine viel clevere Abart.
Umwelten verändern sich, und war in den 80ern der Irokesen-Schnitt des Punks shocking und en vogue, ist es heute der ins Ohrläppchen gestochene “Tunnel”, das in Buschmenschen-Manier erweiterte Loch, in das ein Ring von der Größe eines 1-Euro-Stücks paßt. So verhält es sich auch mit dem Überleben in sich verändernden Zeiten. Entweder geht man mit der Zeit oder man fällt irgendwann aus der Zeit.
Die ersten Großgeister, welche dies erkannt haben, waren Bakterien. Sie huldigen der sogenannten Rote-Königin-Hypothese. Die Rote Königin ist eine Figur aus den Weltklassikern “Alice im Wunderland” und “Alice hinter den Spiegeln” von Lewis Carroll, in deren skurrilen Episoden viele biologische und physikalische Metaphern versteckt sind. Die darin auftretende Rote Königin läuft unentwegt, ohne sich von der Stelle zu bewegen und erklärt der neugierigen Alice: “Hierzulande mußt du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.” Übertragen auf die Fortpflanzungsbiologie bedeutet dies, daß weil die Umweltbedingungen sich ständig verändern, sind Lebewesen gezwungen, ihr Erbgut an nachfolgende Generationen in modifizierte Form weiterzugeben, um ihre einmal errungene Position zu behaupten oder ihre eroberte ökologische Nische zu behalten. Sie müssen sich also in der Generationskette immerzu verändern, damit ihre Gene überleben.
Obgleich Bakterien so doof wie Klobrillen sind, begnügten sie sich irgendwann nicht mehr mit der langweiligen sich Selbstteilerei zum Zwecke der Reproduktion, sondern fanden einen viel raffinierteren Trick heraus, um sich genetisch zu verewigen. Sie bauen wie schon beschrieben untereinander Röhren oder Kanäle und tauschen so ihre DNA mit anderen aus. Oder sie verschmelzen ganz miteinander. Allerdings wird dabei ihr Erbgut logischerweise nicht zu hundert Prozent weitergegeben, weil der Kollege auch zum Zuge kommen möchte. Es findet dabei ein Geben und Nehmen statt, ein Remix, ein Kompromiß, bei dem etwas völlig Neues entsteht. Ein Opfer oder Verlust des eigenen Ichs für den guten Zweck ist bei diesem Vorgang vorprogrammiert und unvermeidlich. Ich liebe meinen Sohn trotzdem aus dem tiefsten Grunde meines Herzens, obwohl er nicht zur Gänze mein Sohn ist.
Grunox ist nun im Bilde. Doch weshalb unterscheidet sich die Hälfte der Menschen so radikal von der anderen Hälfte? Der Schlüssel hierfür liegt in der Spezialisierung von Zellen in einem Organismus. Es gibt Zellen, die im Verbund Augen bauen, aus anderen werden Arme, Nasen, Nieren oder Zungen. Und wieder andere spezialisieren sich auf Keimdrüsen, welche ihrerseits nichts anderes als Geschlechtszellen produzieren. Allerdings ist deren Volumen und Anzahl in einer unperfekten Welt im Verhältnis ebenso unperfekt. Der größte Unterschied zwischen Männern und Frauen besteht nicht darin, daß Frauen Kinder bekommen können und Männer Fußballgesänge beherrschen, sondern in der Größe und Anzahl ihrer Geschlechtszellen.
Männer produzieren tagtäglich Spermien in schier unbegrenzter Menge, wogegen Frauen mit einer bestimmten Menge an Eiern auf die Welt kommen, von denen jedoch lediglich 400 bis 500 zur Ausreifung gelangen. Die Folgen sind fatal, denn dieser unscheinbare Umstand determiniert letzten Endes nicht allein die Anatomie eines Individuums, sondern auch dessen Denken, Wahrnehmung, Handeln, Art, Präferenz und Werdegang. Nicht zuletzt bestimmt dieses Naturgesetzt die Interaktion einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die den “kleinen Unterschied” nicht anerkennt oder falsch deutet oder relativiert, ist früher oder später dem Untergang geweiht.
Man stelle sich eine Größenskala von Styroporbällen von 1 bis 10 vor. Die Bälle der Kategorie 1 sind winzig, dafür sehr zahlreich. In der Kategorie 10 sind die Bälle extrem groß, aber seltener. Das liegt in der Energieeffizienz von Körpern. Kleinere Körper gibt es en masse, weil sie logischerweise weniger Energie brauchen, wogegen große Körper wegen ihres größeren Energieverbrauchs rar sind. Die Bälle der Kategorien 2 bis 9 verhalten sich von ihrer Größe her fieberkurvenhaft ansteigend dementsprechend, also größer, noch größer, noch noch größer usw.
Wir werfen alle diese Bälle nun in ein riesiges Schwimmbecken (Ursuppe) und beobachten, welche der zehn Kategorien am häufigsten einen Kontakt mittels Berührung zueinander herstellen (und stillschweigend seien diese Kontakte Fortpflanzung oder Befruchtung genannt). Genau, Kategorie 1, winzig, aber zahlreich, und Kategorie 10, riesengroß, aber wenig, kontaktieren einander am häufigsten! Das liegt in der Natur der Dinge. Selbstverständlich gibt es in den Kategorien 2 bis 9 ebenfalls Kontakte, aber eben nicht so häufig wie bei 1 und 10. So sind wir sehr schnell bei Spermium (klein) und Ei (groß) angelangt. Alle anderen Fortpflanzungsmodelle bis auf extrem seltene Ausnahmen im Pflanzen- und Tierreich wurden im Laufe der zurückliegenden Jahrmillionen Jahren “aufgegeben” oder sind “ausgestorben”, weil sie dem Erfolgsmodell Ganz-klein-und-viel-und-ganz-groß-und-selten nicht standhalten konnten. Übrigens ist das Experiment mit den verschieden großen Bällen keine Erfindung von mir. Es verhielt sich sowohl im Modellversuch als auch als mathematische Computersimulation so wie ich es beschrieben habe. Der Grund, weshalb es kein drittes Geschlecht geben kann und wir zwangsläufig auf die Zweigeschlechtlichkeit angewiesen sind. Mit “zwangsläufig” meine ich, daß tatsächlich die gleichen Kennzeichen und Unterschiede wieder auftreten würden, wenn man das Leben unserer Erde noch einmal ganz von vorn anfangen lassen würde.
Alles schön und gut, denkt sich Grunox, aber nur weil die Sache mit den Geschlechtszellen zwischen Männchen und Weibchen so unterschiedlich ist, müssen doch Menschenfrauen nicht ständig “Ich habe nichts zum Anziehen!” schreien, wenn sie vor ihrem Kleiderschrank mit zweihundert Kleidern stehen, und Menschenmänner sich bereits mit achtzehn Jahren nicht vor lauter Übermut mit ihrem Auto um einen Baum wickeln. Meine Güte, sie müssen ja nicht noch sooo unterschiedlich sein! Aber da Grunox einen IQ von 1008 besitzt, legt sich alsbald ein verständiges Lächeln um seine Mundwinkel. Die Geschichte mit den Geschlechtszellen geht nämlich noch weiter, erkennt er.
Beweglichkeit ist für Zellen nichts Ungewöhnliches, aber sie kostet Energie. Sie kostet umso mehr Energie, je größer das Paket ist, das bewegt wird. Und dieser Aufwand wächst geometrisch. Eine große Keimzelle, die sich fortbewegt, verbraucht unverhältnismäßig viel mehr von ihrem Energievorrat als eine kleine. Der Energievorrat ist aber für die Zeit nach der Befruchtung wichtig. Falls also die großen Keimzellen auf die Suche nach den kleinen gingen, würden sie einen beträchtlichen Teil der Energiemitgift verbrauchen und dadurch die Überlebensaussichten des neuen Individuums senken. Wenn umgekehrt die kleinen Zellen auf die Suche (Anmache!) nach den großen gehen, ist das absolut wie relativ gesehen billiger. Falls je beide Methoden entwickelt wurden, konnte sich nur die zweite durchsetzen.
Die großen Keimzellen ziehen sich deshalb irgendwann in den Organismus zurück und bewegen sich nicht mehr. Sie warten. Bei den Säugetieren, worunter auch die Menschen gehören, führt das zu einem schier verhängnisvoll zu nennenden Konflikt. Nicht nur daß das Reparieren und Variieren individueller Erbprogramme, denn nichts anderes ist Sex und das damit einhergehende Verschmelzen zweier Keimzellen, nun eine ungemein komplizierte Sache geworden ist, welche ganz spezielle Gepflogenheiten und Rituale erfordert. Nein, sie ist auch noch zu einem unfairen Spiel ausgeartet, in dem die eine Seite die ganze Bürde trägt, nicht einmal so selten in Gestalt des eigenen Todes. Bestimmte evolutionäre Weggabelungen haben nämlich inzwischen dazu geführt, daß der Nachwuchs im Körper desjenigen Individuums hergestellt wird, in dem die großen Keimzellen sitzen. Die Folge ist, was man so allgemein “Frau” nennt, bevor der ganze Streß losgeht auch “geile Schnitte”.
Und genau an dieser Stelle greift das Gesetz “Die Form folgt der Funktion” ein. Durch seine Funktion nämlich ändert sich nicht bloß der “Bau” eines Individuums, sondern auch sein So-sein, also sein Wesen, Verhalten und seine Interaktionen mit der Umwelt. Insbesondere jedoch entwickelt es dadurch eine völlig originäre und auf sich zugeschnittene Strategie, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Daß es dies nicht willentlich tut und die Funktion es ihm von Geburt an (eigentlich unmittelbar nach der Zeugung) befiehlt, versteht sich von selbst. Die Evolution ist der größte Verarscher ever!
Gefühle und Triebe sind Instrumente der Gene bzw. der Chromosomen. Ein Mann ist gebaut, um Frauen nachzusteigen und sie pausenlos, ja, schier besinnungslos zu schwängern, um seine Gene an künftige Generationen weiterzureichen. Ob er es wirklich tut und was er sich dabei denkt, spielt keine Rolle. Das Programm ist für die Masse ersonnen und nicht für Stubenhocker, die Kafka und Samuel Beckett lesen. Für dieses Verhalten hat der Mann keine Nachtteile zu befürchten. Selbst wenn er jeden Tag eine andere Frau schwängerte, und selbst wenn von diesen 365 Kindern 350 sterben würden, weil er seiner Fürsorgepflicht als Vater nicht nachkäme, so würde er mit den 15 durch irgendwelche günstigen Umstände überlebenden Kindern seine Fortpflanzungschancen gegenüber der Frau verfünfzehnfacht haben.
Logisch, daß sich die Sache für die Frau nicht so lustig ausnimmt. Und logisch, daß die Frau gegen dieses Ungleichgewicht zu ihrem Schutze und dem ihres Nachwuchses längst eine Gegenstrategie entwickelt hat. Deshalb muß man den Mann, der in einem Jahr 365 verschiedene Frauen besteigt, nicht nur mit der Lupe, sondern unter dem Elektronenmikroskop suchen – ausgenommen natürlich backstage bei einer gerade angesagten Popband.
Grunox durchschaut das Ding mit den zwei Geschlechtern auf dem Planeten Erde nun endgültig. Wie bei einem Wettrüsten folgt auf den (evolutionären) Vorteil des einen prompt eine Gegenmaßnahme, welche diesen Vorteil in Schach hält, wenn nicht gar zunichte macht. Da die Frau während der heiklen Phase der Schwangerschaft besondere Fürsorge und einen Schutz braucht, ist sie bereits so konstruiert, daß sie bei ihren potenziellen Paarungspartnern eine knallharte Selektion betreibt. Das hat einen zweifachen Effekt. Erstens werden dadurch allein die ihr Wohlgesinnten erwählt, die ihr von vornherein signalisieren, daß sie sich auch nach der Paarung um sie kümmern werden. Und zweitens, und das ist im Sinne der Spieltheorie die größte Überraschung, züchtet sie sich hierdurch sukzessive jenen Typ von Mann, der genau diese ihr nützenden Eigenschaften besitzt. Es ist sozusagen eine Verwässerung des Männlichen auf Raten bzw. über Generationen hinweg. Was uns heutzutage so selbstverständlich und gesellschaftlich erwünscht erscheint, nämlich der “nice guy” ist in Wahrheit nichts anderes, als das Produkt einer Jahrmillionen alten weiblichen Verschwörung.
Dabei befindet sich das Weibchen diesbezüglich selber in einem Konflikt. Einerseits bevorzugt sie den sexuell attraktiven ganzen Kerl, dessen Männlichkeit sowie sein verlockender Männerschweiß ihm aus jeder Pore zwischen seiner dichten Behaarung quillt, auf daß sich dessen Ganzer-Kerl-Gene auf den männlichen Nachwuchs übertragen mögen und dieser seinerseits für künftige Weibchen anziehend erscheine. Das Phänomen wird auch “Sexy-Son”-Hypothese genannt und will erklären, weshalb Frauen sich entgegen ihren Interessen zwischendurch immer wieder mit unzuverlässigen Schnellficker-Typen einlassen. Allerdings wurde unlängst bewiesen, daß sich Attraktivität oder was auch immer man darunter verstehen mag fast ausschließlich auf die Töchter vererben läßt. Heißt, wenn ein gleichwertig sexuell attraktives Paar einen ebensolchen Sohn bekommt, hat es nur Glück gehabt, ein sehr seltenes Glück. Der Nachteil von harten und schönen Jungs ist allerdings, daß sie a) jede haben können und das im fliegenden Wechsel und b) sie sich tendenziell nach der Zeugung des Nachwuchses keine Strickjacke anziehen und noch weniger zum Kinderwagen-Schieber mutieren.
Anderseits soll es ein Domestizierter sein, ein Verständiger und Beschützer, der einer Frau das Wichtigste zu liefern vermag, Versorgung plus Sicherheit. Daß der Staat unterdessen ihr die Wahlmöglichkeit gibt, beide Optionen je nach Lust und Laune in Anspruch zu nehmen, ja, sogar noch eine weitere Option drauf packt, nämlich die Freiheit kinderlos zu bleiben, wird die freiheitliche westliche Gesellschaft, so wie wir es kennen, bereits in wenigen Jahren sprengen. Eine Frau hat keine Wahl.
Ist die Partnerbeschau in der “Balzarena” beendet und sind die Keimzellen endlich miteinander verschmolzen, so wartet auf die Großgeschlechtszelligen die echte Gefahr, konstatiert Grunox. In Deutschland sterben heute 5,3 von 100 000 Müttern im Zusammenhang mit der Geburt – und etwa vier von 1 000 Säuglingen. Immer noch bedauerliche Zahlen. Aber weit weniger schockierend als die Zahlen von früher, als über jede fünfte Frau im Wochenbett ihr Leben beendete und fast jedes zweite Kind vor dem Erreichen des zwölften Lebensalters verstarb, vor Tausenden Jahren vermutlich noch mehr. Es herrschte damals permanenter Frauenmangel, auch bei den Königs und Adligen. Sex war für Frauen niemals Ekstase pur, sondern stets auch Russisches Roulette.
Deshalb entwickelten sich mit der Zeit rein weibliche Strategien, um dem entgegenzuwirken und den Sexualpartner von vornherein gut abzuschätzen. Regel Nummer 1: Fick nicht mit jedem Dahergelaufenen rum, auch wenn er dir schöne Augen macht, Süßholz raspelt und wie Ryan Gosling aussieht. Sei eher enthaltsam, laß dich bitten, tendenziell. Regel Nummer 2: Teste ihn auf die drei goldenen Attribute, die er besitzen muß und deiner Reproduktion die meisten Vorteile verschaffen, nämlich Zeit (Aufmerksamkeit), Ressourcen (Geld) und Prestige (höherer Rang), bevor er ran darf. Denn wenn die Kinderproduktion und –aufzucht beginnt, wird er nicht mehr wiederzuerkennen sein. Mein Wort drauf! Das Ganze ist nämlich eine sehr mühselige Angelegenheit. Ob du es glaubst oder nicht, die Unterleibswonnen mit der gleich Nächstbesten ist für einen Mann weitaus erfüllender, als mit dem Kleinen mit der Lego-Ritterburg zu spielen oder die Kleine auf den Ponyhof zu begleiten. Und all die Die-Familie-bedeutet-mir-über-alles-Laberer singen nur so lange das Hohelied der Familie, bis man plötzlich vernimmt, ach, die Anne und der Georg haben sich auch wieder getrennt. Schade um die Kinder. Deshalb ist der Streßtest in romantisch verbrämter Manier für eine Frau unerläßlich.
In der Zwischenzeit hat Grunox seinen Vorrat an gesalzenen Erdnüssen ohne von den Erdlingen bemerkt zu werden ins Raumschiff gesogen, sage und schreibe 15 Tonnen! Na, das reicht erstmal für die nächste Zeit. Dennoch verläßt der schlaue Außerirdische den Planeten Erde nicht ohne Besorgnis. Zwar hat er erkannt, wie es hier mit Männchen und Weibchen abläuft, und er versteht jetzt auch, was es mit diesem gerade eben befreiend wirkenden “Fuck!” aus seinem Munde auf sich hatte, doch gleichzeitig hat er auch registriert, daß all die Weisheiten aus dem Bauernkalender der Evolution gegenwärtig dabei sind, aus ihr zu verschwinden.
Die Ursache dafür ist ein insbesondere in westlichen Industrieländern grassierendes Gebilde namens Staat, eigentlich ebenfalls ein Produkt der Evolution, wenn auch ein in die Irre gelaufenes. Dieses betreibt mit der Brachialität einer Schrottpresse “die große Verschwulung”, konkreter die Verwischung der Trennlinie zwischen Mann und Frau, so daß beide Geschlechter sich in ihren biologischen Grundfesten immer unsicherer werden. Obgleich mit gesunden Augen ausgestattet, bilden sie sich Farbenblindheit ein und glauben tatsächlich, einander gleich zu sein, und hassen und bekriegen sich am Ende gar deswegen.
Unter dieser Prämisse gilt das weibliche Element, welches gleichgültig in welcher Sparte und wie im Guten als auch im Bösen im Durchschnitt lediglich das Mittelmaß repräsentiert und in seinem ursächlichen Wesen hauptsächlich für die Herstellung von Nachwuchs zuständig ist, als der geistige und moralische Leitstern, im Zuge eines Kollektivwahns selbst in wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Dingen. Das männliche Element soll diesem wie schlafwandlerisch folgen, besser noch auf allen Vieren hinterher kriechen, wenn es keine Scherereien bekommen möchte, mehr noch, der Mann soll sich seines Mannseins abschwören und so tun, als sei er nur ein “Mensch”, wo doch sogar Grunox sieht, daß der Mensch an sich eben nicht aus einem Guß ist, sondern aus zwei Güssen. Gewinner bei diesem surrealen Spiel sind die echten Männer, allerdings aus primitivsten Regionen der Erde. Ihr Gelächter ist ohrenbetäubend.
Vielleicht schaut Grunox in hundert Jahren wieder auf der Erde vorbei. Genügend gesalzene Erdnüsse bis dahin hat er ja schon im Depot. Er startet sein Raumschiff und entfernt sich immer schneller von diesem seltsam verwirrten Planeten. Er ist sich sicher, daß er bei einem Wiedersehen immer noch einen Mann beim Aufsetzen eines Liebesgedichts an eine Frau antrifft und eine Frau bei der Verwandlung in eine “Superattrappe”, was im wissenschaftlichen Jargon nichts anderes als das Schminken meint. Auch wenn dann alles in Trümmern liegt.