… der du vor den Augen deiner Mutter von einem Fremden vor einen fahrenden Zug gestoßen und grausam zerstückelt und zermanscht worden bist: Wir vermissen dich sehr! Wir kannten dich nicht und du kanntest uns nicht, und dennoch: Wir vermissen dich so sehr!
Du schwebst nun dort oben als die reinste und unschuldigste Seele und versucht vermutlich zu verstehen, warum dir das geschehen ist. Weil du ein paarmal frech zu deinen Eltern gewesen warst, fragst du dich vielleicht, oder weil du hin und wieder Streit mit den anderen Kindern hattest?
Ich kann dir versichern, nein, es geschah nicht deswegen. Wenn du irgendwann erwachsen geworden wärest, hättest du über solche kleine Kindersünden gelacht, oder im Gegenteil, du hättest in Erinnerung an diese süße Zeit voll des Zaubers und der täglichen Wunder geweint, weil sie unwiederbringlich ist.
Aber du wirst kein Erwachsener werden, Kleiner. Niemals wirst du dich am Strand eines Meeres im Wasser verausgaben und die Zeit um dich herum völlig vergessen, eins geworden mit den Wellen und dem Sand. Niemals wirst du dich auf Weihnachten freuen, auf glitzernde Lichter und die überraschenden Geschenke. Niemals wirst du irgendwann deinen immer erwachsener werdenden Körper und dein jugendliches Knabengesicht im Spiegel betrachten und wirst dir sagen “Ich bin ein schöner Mann!” Und niemals wirst du ein Mädchen küssen (ich weiß, bisher fandest du die eher doof, aber das hätte sich geändert).
Ich möchte dir erklären, weshalb man dich getötet hat, kleiner Junge. Ich möchte es dir so erklären, daß du es deinem Alter entsprechend verstehst, mit einfachen Worten. Die Wahrheit ist, daß sie dich tot sehen wollten, und, das mag dir ein kleiner Trost sein, in ein paar Jahren hätten sie dich sowieso umgebracht. “Aber warum das denn? Ich habe doch gar nichts angestellt”, sagst du? Du vielleicht nicht, aber deine Mutter hat etwas angestellt. Sie hat dich geboren – als Deutschen!
Es ist wie in einem bösen Märchen, weißt du. Dort gibt es doch den bösen Wolf, die böse Hexe und die böse Stiefmutter. Diese nennen sich in unserem Land Politiker und Medienleute. Sie sind so etwas wie gewählte oder selbstgewählte Könige. Sie sollen eigentlich dafür sorgen, daß das Königreich aufblüht und die Untertanen von den Früchten ihrer Arbeit in Ruhe, in Liebe und in Frieden leben können. Aber die neuen Könige sind von furchterregenden Dämonen besessen, die sie dazu anleiten, ihre eigenen Untertanen zu ermorden, vor allem deren Kinder.
Da das aber selbst in ihrem verzauberten Reich verboten ist, lassen sie ganze Rudel von bösen Wölfen ins Land, die für sie die Arbeit erledigen. Sie sagen, da, wo die bösen Wölfe herkommen, gäbe es nicht genug unschuldige Kinder, die sie reißen könnten, deshalb müßten sie unbedingt in unsern Wald. Wegen Tierschutz.
Und weißt du, was das Komische dabei ist, Kleiner, die Untertanen halten das für ein logisches Argument. Sie versammeln sich sogar regelmäßig auf den Marktplätzen überall im Lande und verlangen in Chören, daß noch mehr böse Wölfe in den Wald einsickern. Wenn aber ihr eigenes Kind unter den Opfern ist, stellt sich so ein bestialischer König ganz vorne vor den Versammelten hin und sagt:
“Im Autoverkehr sterben jährlich mehr als 3000 Personen – keine allzu großen Diskussionen. Im Bahnverkehr stirbt eine Person – (…) Bundesminister unterbricht Urlaub. Bitte immer die Verhältnismäßigkeit wahren (…)” *
Merkst du, Kleiner, Unfall und Mord werden gleichgesetzt. Bei manchen Gerichten sogar Mord und Liebe. Im Märchenland sind alle verrückt geworden. Es gibt allerdings einige Bauern, die noch bei Verstand geblieben sind. Sie sind mit ihrer eigenen Abschlachtung und die ihrer Kinder durch die bösen Wölfe nicht einverstanden. Da aber werden die Könige sehr, sehr ärgerlich, werfen diesen ungezogenen Bauern vor, daß sie kein Herz für Tiere hätten und sagen:
“Da muß man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.” **
Verstehst du, Kleiner, die Leute sollen einfach in ein anderes Königreich verschwinden, wenn sie sich nicht vor ein ICE stoßen lassen wollen.
Wie in jedem gruseligen Märchen gibt es auch in diesem die böse Hexe. Ich erzählte vorhin, daß diese monströsen Könige von irgendwelchen Dämonen besessen sind. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Sie waren schon immer widerliche Kreaturen gewesen, die nur auf ein Zeichen der bösen Hexe in ihrem extrem teuren Knusperhäuschen gewartet haben, um die Ermordung, Vergewaltigung und Auslöschung der Bewohner des Märchenwaldes zu vollenden. Eigentlich sind sie auch keine richtigen Menschen, sondern sehr gefährliche Ghule, denen die böse Hexe eine menschliche Gestalt verliehen hat.
Du sagst jetzt bestimmt, das ist aber ein blödes Märchen, weil es überhaupt keinen Sinn ergibt. Da magst du recht haben, Oskar, anderseits ergibt ja dein grausamer Tod auch keinen Sinn und erscheint, wenn man es genauer betrachtet, nicht nur wie eine Szene aus einem abstrusen Märchen, sondern wie eine aus dem schlimmsten Horrorfilm.
Allerdings kann man der Sache auch etwas Positives abgewinnen. Schon sehr bald wirst du da oben sehr viel Gesellschaft mit Gleichaltrigen haben, um mit ihnen zu spielen, Kleiner. Denn diese Polit-Kreaturen werden nicht eher ruhen, bis sie alle deutschen Kinder ermordet haben. Erst dann sind sie wirklich glücklich – als Wölfe unter Wölfen.
*Eike Lengemann – Grünen-Politiker
**Dr. Walter Lübcke, Regierungspräsident von Kassel (22. August 1953 – † 2. Juni 2019)