Unter dem “sensorischen bzw. motorischen Homunculus” versteht man in der Hirnforschung ein Modell, welches den Menschenkörper nach neurologischer Gewichtung der für die einzelnen Organe, Glieder und Wahrnehmungen aufgewandten Hirnaktivität grotesk verzerrt darstellt. Dabei wären z. B. Mund und Zunge so groß wie ein Fuß, weil beim Sprechen und Formulieren mehr Grips benötigt wird als beim Gehen, und wegen der gedanklichen Beschäftigung damit wäre das Geschlechtsteil fast mächtiger als ein Bein. Hier die Abbildung eines solchen Hirnmännchens, sozusagen die rein neuronale Interpretation des Menschen.
Ich finde es gerade in der Weihnachtszeit verlockend, diesen speziellen Modellgedanken auf die Weltreligionen zu übertragen. Wie würde der jeweilige religiöse Homunculus wohl aussehen? Es tut mir leid, meine Damen, aber leider wäre dieses Wesen mit absoluter Sicherheit ein Mann, denn alle Super-Götter sind Männer (Väter) oder werden mit männlichen Attributen assoziiert. Bei den alten Göttern wie Zeus oder Odin sind sie es sogar faktisch und bildlich. Das liegt daran, daß zu jener Zeit Frauen nix zu vermelden hatten, und da aller Götterglaube Männerhirnen entsprungen ist (die Frauen waren derweil mit Kinder-Gebären beschäftigt), geht es in den sakralen Geschichten recht patriarchalisch zu.
Außerdem spielt in Religionen Schutz vor was und vor wem auch immer, um den der Mensch Gott bittet, eine große Rolle. Das hat man einer Gottesmutter wohl nicht so richtig zugetraut. Was einigermaßen komisch ist, denn Frauen sind religiöser als Männer. Es gibt kaum Atheistinnen; Frauen glauben immer an irgend etwas, und in den heute zunehmend leerer werdenden Kirchen wird man auf den Bänken trotzdem stets ein paar Omis sitzen sehen und kaum einen Opi. Wie dem auch sei, hier also “Was wäre, wenn Religionen Menschen wären”:
HERR CHRISTENTUM
Herr C. ist ein sehr gebildeter alter Mann, dem im Gegensatz zu seinem Verhalten in den Jugendjahren heute etwas Entrückt-Schmerzdurchdrungenes anhaftet. Er spricht mehrere Sprachen fließend, insbesondere ausgestorbene wie Latein, Altgriechisch und Aramäisch. Ein Charakterzug ist irritierend an ihm. Obgleich er bis zur pathologischen Besessenheit auf Tradition, Überlieferung, Ritus, um nicht zu sagen auf Dogmen beharrt, scheint er jegliches Interesse an seiner Geburtsregion und den ihn Huldigenden, die dort noch vereinzelt leben, verloren zu haben. Sowohl das Land als auch diese Gläubiger überläßt er dem Grauensregime seines Hauptkonkurrenten, wie einer, dem der Schmerz derart traumatisiert hat, daß er schon bei dessen Erwähnung geistig abschaltet.
Das war früher, als er in Saft und Kraft stand, anders. Da war er omnipotent, mischte sich überall ein, missionierte berserkerhaft, folterte und tötete gar diejenigen, die vor ihm nicht auf die Knie fielen. Er duldete keinen neben sich und auf Augenhöhe mit ihm, verfolgte die intimsten Angelegenheiten der Leute bis in ihre Betten hinein, verkündete das vermeintlich einzig Richtige und Gute. Vor allem war er prunksüchtig. Und obwohl er vorgab, die fleischliche Lust als ein abstoßendes, wenn auch notwendiges Übel zu betrachten, hatte er immer eine schlimme Obsession damit. So sehr hatte er sich von dem Geschöpf entfremdet, das er seine Existenz verdankt. Im wahrsten Sinne des Wortes Jugendsünden halt.
Jetzt schämt er sich seiner früheren Frevel. Versucht mit Kaschmirjacke und Einstecktuch den Eindruck zu vermitteln, daß er immer schon ein kulturbewußter und zivilisierter Gentleman gewesen sei. Das ist gar nicht mal gelogen. Herr C. atmet aus jeder seiner alten Poren Kultur in höchster Vollendung aus. Ob Malerei, Musik, Literatur, Architektur, Kunsthandwerk, Schmuckdesign, Speis und Trank, ohne den inspirierenden Geist von Herrn C. wären Europa und dessen einzelne Nationen eine monotone Abfolge von trostlosen Landstrichen, gepfuscht von Stümpern und Primitiven. Ein einzelner Mensch könnte tausend Jahre alt werden und sich dennoch nicht alles vollständig zu Gemüte geführt haben, was in Gedanken an Erzählungen von Herrn C. an Kulturleistungen vollbracht wurde.
Aber auch die Wissenschaft, eine jede Wissenschaft erhielt durch Herrn C.s treueste Anhänger, die mönchartig waren, immer größere Flügel. Okay, das war nicht in seinem Sinne, er hatte diese Entwicklung sogar Jahrhunderte lang bekämpft. Aber dann fand er plötzlich doch Gefallen dran und log, das Ganze sei schon immer sein Plan gewesen. Im übrigen mindere das Eine nicht das Andere, also das Beweisbare nicht das Nicht-Beweisbare, im Gegenteil, sein Chef hätte es genauso vorausberechnet.
Heute spielt Herr C. den toleranten Onkel, dient sich wo er kann dem Weltlichen an und macht sich verabscheuenswürdigerweise mit der irren Politik gemein. Man sollte Herrn C. daran erinnern, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist.
HERR ISLAM
Herr I. ist ein lächerlicher alter Mann. Und ein sehr gefährlicher. Er hält sein Greisenalter für den Maßstab aller Dinge und pocht darauf, daß alle Nachgeborenen, insbesondere die Jugend wie verbitterte Greise leben müßten, und zwar buchstabengetreu. Also freudlos, verdrießlich, bildungsskeptisch, leistungsfeindlich, paranoid, tierhassend, rituell und kollektivistisch gesteuert, verklemmt und bigott, unterschwellig bis offen aggressiv, borniert und intolerant, Geschlechterapartheit ausübend, alles in allem die Welt und das Leben als ein geistiges Gefängnis begreifend, als “Living Dead” eines längst pulverisierten Kadavers unter einer orientalischen Sandwüste. Dort wachsen keine Blumen, schon gar nicht verschenkt Herr I. Blumen.
Immer wieder gab es Versuche, Herrn I. mit moderner Kleidung auszustatten, mit Anzug und Krawatte vielleicht. Die Vorgehensweise hatte man sich der Domestizierung von Herrn C. abgeguckt. Das scheiterte jedoch immer wieder daran, daß weder Herr I. noch seine Fans den Wunsch nach neuer Kleidung je geäußert hätten. Denn Herr I. versteht sich im Gegensatz zu Herr C. nicht als ein mystischer und spiritueller Inspirator, sondern als ein tyrannischer und gewalttätiger Kontrolleur. Er ist ein Gott gewordenes Verbotsschild in der Kostümierung eines archaischen, sehr dummen Mannes. Seine Anhänger wiederum sind kognitiv viel zu simpel gestrickt und von Kindesbeinen an zu sehr durch seinen Verbotskatalog indoktriniert, als daß sie den Unterschied zwischen einer Religion und einem durchgeknallten Sektenglauben merken könnten.
Zudem ist Herr I. völlig phantasielos, Kreativität ist ihm fremd. Alle transzendentalen Momente in seiner Erzählung beruhen auf Urheberrechtverletzungen, will sagen sie wurden per Copy and Paste aus den Werken anderer Herren mit einer religiösen Macke stibitzt und in den eigenen Kosmos integriert. Der originäre Teil seiner Legende, nämlich die sogenannten 5. Säulen des Herrn I., die schon wirr genug sind, dienen dazu, seine wahren Absichten zu verschleiern. Deren gibt es in Wahrheit nur zwei.
Zum einen müssen sämtliche Menschen, die Herrn I.s Heiligkeit in Zweifel ziehen, vernichtet werden. Sein als Kompaß für die I-Artigen dienendes Buch, das er nicht selbst geschrieben hat, denn Herr I. ist Analphabet, handelt zu hälftig von der Bekämpfung und Ermordung sogenannter Ungläubiger. Stellenweise liest es sich wie ein Leitfaden für Terroristen und Blutsäufer. Herr I. ist der Überzeugung, daß der vollkommene Mensch nur einer sein kann, der sich ihm und seinen Steinzeit-Gesetzen ohne Sinn und Verstand bedingungslos unterwirft. Dem Rest gehört das Lebenslicht ausgeblasen, am besten unter Folterqualen.
Zum anderen beschäftigt sich Herr I. mit einer ins Pathologische ausgearteten Hingabe mit der Sexualität der Frau, insbesondere ihren Genitalien, zu denen nach seiner Auffassung auch das Gesicht gehört. Herr I. fickt nämlich selbst in seinem Greisenalter für sein Leben gern und möchte dabei nicht von den Widerworten des Weibes, seinem Freiheitsbestreben oder gar seinem Begehren nach anderen Männern gestört werden. Wenn man diese beiden Komponenten, Vernichtung der Ungläubigen und Mösen-Tick, aus seinem K-Buch streichen würde, bliebe vom Inhalt nur noch fünf Seiten übrig.
In Sachen Kunst und Kultur hat Herr I. nur nettes Kunsthandwerk anzubieten, und selbst das ist nicht jedermanns Geschmack. Literatur, Musik, darstellende Kunst und Malerei kommen ihm nicht ins Haus. Es gibt kein I-Oratorium, das einen in besinnlichen Stunden zu Tränen rührt, und keine Sixtinischen Kapellen des Herrn I., bei dessen Betrachtung man vor Erstaunen und Faszination den Atem anhält. Bisweilen schmückt sich Herr I. mit der Basal-Wissenschaft wie mit dem sogenannten arabischen Zahlensystem, das angeblich auf seinem Mist gewachsen sei, in Wahrheit jedoch von anderen, viel schlaueren Kulturen übernommen wurde.
Alles in allem ist Herr I. ein Scheinriese, dessen immer größer werdende Macht eben nicht auf die ebenfalls immer größer werdende Anzahl seiner Treuen basiert, sondern auf die Schwachsinnigkeit und Geldgier der Treuen von Herrn C., die ihm und die Seinen am laufenden Band mit ihren modernsten Errungenschaften beliefern, damit diese nicht an irgendwelchen Krankheiten oder des Hungers sterben. Herr I. ist ein Popanz, der seine Popanzhaftigkeit Herrn C. verdankt.
HERR JUDENTUM
Herr J. ist weniger der Stadthalter eines Glaubens denn einer Ethnie oder einer klar umfaßten Menschengruppe. Er besitzt weltweit eine Fan-Base von nur 15 Millionen Menschen, und von denen nehmen ihn auch nur zirka eineinhalb bis zwei Millionen überhaupt für voll. Allerdings ist Herr J. der Erfinder dieses monotheistischen Dingens, also der Eingottlehre, die er sich schon vor 3000 Jahren hat einfallen lassen.
Herr J. wird allseits gehaßt. Über das Warum gibt es verschiedene Theorien, vor allem Verschwörungstheorien. Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, daß seine Stammesangehörigen trotz ihres uralten J-Fimmels seltsamerweise stets modern agiert, insbesondere in der abendländischen Kultur und Wissenschaft Gigantisches geleistet und so den Neid von Herrn C. und Herrn I. auf sich gezogen haben. Zum Beispiel hat ein Sigmund Freud den Sex erfunden, davor gab es kein Sex, vielleicht so ein bißchen Petting oder so. Und ein Albert Einstein erfand die Zeit, davor gab es auch keine Zeit, vielleicht ein Stündchen oder so.
Das Sympathischste an Herr J. ist, daß er mit seiner Sache seinen Konkurrenten nicht auf den Sack geht. Missionieren ist ihm unbekannt, im Gegenteil, es ist für Nicht-J.-ler fast ein Ding der Unmöglichkeit, in seinem Kreis aufgenommen zu werden.
Herr J. wartet schon seit Jahrtausenden auf einen gewissen Messias, bei dessen Ankunft das Heil für alle Völker anbrechen soll. Dabei war dieser schon längst dagewesen. Wie man dem Dokumentarfilm “The Passion of the Christ” von Mel Gibson entnehmen kann, hieß er Jesus und war hauptberuflicher Messias. Doch Herrn J.s Anhänger hielten ihn für einen Fake und stifteten die Römer dazu an, ihn ans Kreuz zu nageln. Herr J. kann also noch warten bis er schwarz wird. Es kann natürlich auch anders gewesen sein, aber das weiß nur Mel Gibson. Vielleicht ist er im Besitz von brisantem Filmmaterial, das er uns vorenthält.
Ich könnte hier noch mit anderen Religionen in Menschengestalt fortfahren, doch dann wird dieser Artikel arg hippiemäßig und zur unfreiwilligen Werbung für irgendwelche Yoga- und Meditationsstudios und Naturheilprodukte. Klar ist, daß alle oben genannte Herrn einen Chef über sich haben, das heißt obwohl ihre Unternehmen jeweils eine weitverzweigte und kaum auseinanderzuklamüsernde Konzernstruktur aufweisen, diese sich im Privatbesitz eines einzigen Mannes befinden, eines gewissen Herrn G. Er ist ledig und wohnt in Amsterdam. Aber das ist eine andere Geschichte.
In diesem Sinne Gottes Segen und ein frohes Weihnachtsfest euch allen!